DIAGNOSE! Interview mit
Von: Carolin Lichtenstein & Tino Imsirovic
DIAGNOSE! Interview Series
Veröffentlicht am 22. August, 2020
Dr. Cordelia Polinna // Geschäftsführende Gesellschafterin, Urban Catalyst, Berlin
Cordelia Polinna ist Stadtforscherin und -planerin und Expertin für Transformation im Metropolen-Ballungsraum BB.
Berlin wächst (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, 2019), die Stadt wird voller und dichter und verschiedene Nutzungen konkurrieren um knapper werdende Flächenressourcen. Das Land Brandenburg hingegen verliert Einwohner*innen – jedoch nicht überall gleich: Das direkte Berliner Umland gewinnt Einwohner*innen hinzu, während das weitere Umland und die berlinferneren Kommunen von einer regressiven Bevölkerungsentwicklung betroffen sind (Amt für Statistik Berlin-Brandenburg, 2015). Wir haben mit Dr. Cordelia Polinna über das Stadtwachstum Berlins als Triebkraft für Transformation und die damit einhergehenden Konflikte und Aushandlungsprozesse gesprochen. Insbesondere haben wir mit ihr Nutzungs- und Flächenkonflikte, Verwaltungsstrukturen in Berlin und Brandenburg und relevante Akteure und Werkzeuge in Hinblick auf die transformative Kraft des Stadtwachstums beleuchtet.
Für eine vorausschauende Steuerung des Stadtwachstums müssen für Cordelia Polinna insbesondere der Ausbau von Verkehrsinfrastrukturen für das Fahrrad und des ÖPNV in der äußeren Stadt in den Blick genommen werden. Daneben zählt die soziale Infrastruktur zu den größten und wichtigsten Herausforderungen für die Zukunft Berlins und Brandenburgs, auf die das Wachstum der Stadt und der Spillover-Effekt nach Brandenburg Einfluss haben wird.
Der Entwicklungsdruck führt zu Konkurrenzen um Flächen: Insbesondere Wohnen und kleinteiliges Gewerbe sowie kleine soziale Infrastrukturen machen sich innerstädtisch derzeit die Flächen streitig. Veränderungen im Handel und im Verkehr könnten einerseits zur Erschließung neuer Flächen führen, andererseits auch neue Flächenbedarfe entstehen lassen. Um den verschiedenen Ansprüchen gerecht zu werden, muss Berlin eine aktive Bodenpolitik verfolgen. Dafür setzt die Stadt verschiedene Instrumente ein: Monitoring- und Management-Systeme (z.B. WoFIS und GeFIS) erfassen Flächen und deren Nutzbarkeit, Stadtentwicklungspläne (StEP) geben Entwicklungsstrategien zu Themen wie Wohnen oder Wirtschaft auf gesamtstädtischer Ebene vor und nicht zuletzt stellt der Ankauf neuer und der Erhalt bestehender Flächen ein wichtiges Tool für eine nachhaltige Stadtpolitik dar.
Das schnelle Wachstum der Stadt wird allzu oft am überhitzten Wohnungsmarkt deutlich - fehlende Wohnungen und fortschreitende Verdrängungseffekte verschärfen die Problematik. In den letzten Jahren beobachtet Cordelia Polinna, dass immer mehr internationales Immobilienkapital auf dem Berliner Wohnungsmarkt aktiv wird - eine Akteursgruppe, mit der der richtige Umgang noch zu finden ist. Demgegenüber steht in Berlin eine besonders aktive und kritische Zivilgesellschaft, die ein wichtiges Gegengewicht bildet.
Die Berliner und Brandenburger Verwaltungen kämpfen mit sehr unterschiedlichen Problemen, so Cordelia Polinna: Durch den aktuellen und umfassenden Generationenwechsel in der Berliner Verwaltung sind Wissenstransfer und - management die wichtigsten Themen. Die meist kleinen Kommunen in Brandenburg sind personell wie finanziell nicht auf das schnelle Bevölkerungswachstum eingestellt oder haben andererseits durch Abwanderung mit ganz anderen Herausforderungen zu tun.
Mit Blick auf die Zukunft und die damit einhergehende Digitalisierung macht Cordelia Polinna deutlich, dass Städte eigene räumliche Visionen entwickeln müssen, bei der die Digitalisierung nur Mittel zum Zweck sein darf. In der Stadtplanung müsse aber vor allem auf Flexibilität in der Planung sowie auf Heterogenität in Architektur, Städtebau und in der Zusammensetzung der Bewohnerschaft geachtet werden.
Neben dem Wachstum Berlins gibt es in der Region noch andere wichtige Triebkräfte für Transformation - gerade für Berlin und Brandenburg ist der Klimawandel mit drohenden Dürren und der Versorgung der Region mit Trinkwasser ein Thema, dem sich gewidmet werden muss. Auch die aktuelle Corona-Pandemie könnte sich in der einen oder anderen Form auswirken: Polinna warnt vor der Ausbildung neuer Prekariate, sieht jedoch die Relokalisierung von Produktion und Lieferketten auch als Potential.
Dauer: 75:00 min
BB2040
[EN] Berlin Brandenburg 2040 was initiated by the Habitat Unit in cooperation with Projekte International and provides an open stage and platform for multiple contributions of departments and students of the Technical University Berlin and beyond. The project is funded by the Robert Bosch Foundation.
[DE] Berlin Brandenburg 2040 wurde initiiert von der Habitat Unit in Kooperation mit Projekte International und bietet eine offene Plattform für Beiträge von Fachgebieten und Studierenden der Technischen Universität Berlin und darüberhinaus. Das Projekt wird von der Robert Bosch Stiftung gefördert.