INVESTIGATIONS! Article
By: Atelier Fanelsa
in Zusammenarbeit mit
der Steuerungsgruppe Dorfgemeinschaftshaus Prötzel OT Harnekop
Wir sind ein internationales Team von Architekten mit Standorten in Berlin, Oranienburg und Gerswalde (Brandenburg). Das Atelier untersucht zeitgenössische Formen des Wohnens, Arbeitens und Gemeinschaffens auf dem Land, in der Peripherie und in der Stadt. Wir realisieren private Bauprojekte, öffentliche Gebäude, Workshops und Ausstellungen. In diesen Formaten entwickeln wir innovative und qualitätsvolle Antworten auf Fragegestellungen und Anforderungen unserer heutigen Gesellschaft.
[fig. 1] 290 Mehrfunktionshäuser für die Landgemeinden in Brandenburg
In Brandenburg gibt es aktuell 290 Landgemeinden, die weniger als 5.000 Einwohner haben. Diese weisen eine geringe Besiedlungsdichte von durchschnittlich 39 Einwohnern pro Quadratkilometer auf. Als Zukunftsvision für die Daseinsvorsorge in Brandenburg im Jahr 2040 schlagen wir vor ein Netzwerk von 290 Mehrfunktionshäuser einzurichten. Wir sehen das Potenzial der Orte Knotenpunkte von sozialer Dichte im ländlichen Raum zu sein. Bestehende Gebäude oder Neubauten können durch eine qualitätsvolle Architektur ein neues Zentrum für das dörfliche Leben werden. Auch wird das Bauprojekt Initiator zur Thematisierung regionaler Baukultur in den Dörfern. Die Dorfbewohner partizipieren an der Entscheidung zur Gestaltung des Hauses, zum Beispiel durch Einbeziehung in ein Wettbewerbsverfahren. Durch den gemeinsamen Prozess zur Entwicklung des Nutzungskonzepts und Bauprojekts wird die Gemeinde als Gruppe gestärkt.
Innerhalb des Bundesprogramms Ländliche Entwicklung ist durch das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft beschrieben wie in schwach besiedelten Gebieten die Daseinsvorsorge gewährleistet werden kann. Die Typologie der Mehrfunktionshäuser bietet die räumliche Kapazität die nötige soziale, medizinische und kulturelle Infrastruktur bereitzustellen. Hierfür wurden 2017 elf Modellvorhaben in ganz Deutschland gefördert. Im Anschluss ist die Idee in die Regelförderung der Länder in das Programm GAK aufgenommen worden.2,3 Damit wurde ein Förderrahmen geschaffen, aber keine strategische Positionierung und Vision formuliert. Weiterhin wurde vernachlässigt, welchen wichtigen Impuls ein solches „Großprojekt“ für eine kleine Gemeinde auch auf einer baukulturellen Ebene setzten kann.
[fig. 2] Programm und Synergien
[fig. 3] Nutzungsrotation zwischen den Mehrfunktionshäusern im Landkreis Märkisch-Oderland
In unserem Konzept ist jedes Mehrfunktionshaus Teil des Netzwerks der 290 zentralen Orte und somit können Dienstleistungen und Versorgung flexibel geteilt werden. Es entstehen Synergieeffekte durch eine räumliche Bündelung an einem Ort (Kartoffeln Einkaufen, Paket abholen, Hausaufgabenhilfe in der Freiwilligenagentur anbieten, Rasenmäher über das schwarze Brett kaufen, Haare schneiden lassen). Zufällige Begegnungen und gemeinsame Feste fördern die lokale Gemeinschaft. Das Programm der Mehrfunktionshäuser deckt im Wesentlichen die fünf folgenden Themenbereiche ab:
1. Mobile Dienstleistungen, Handel, Versorgung
2. Bildung, Vereine, Verwaltung
3. Kulturelle Angebote, Begegnung, Gemeinschaft
4. Medizinisch-therapeutische Versorgung
5. Sport und Bewegung
Als Prototypen plant die Gemeinde Prötzel ein Mehrfunktionshaus als eingeschossigen Baukörper in Holzständerbauweise mit einem großen Dach. Zentral gelegen ist das Gebäude Ort für ein reges Gemeinschafts- und Vereinsleben. Hier probt der Karnevalsverein, es trifft sich die Gemeindevertretung, in der Bibliothek findet Hausaufgabenhilfe statt und im großen Saal wird die Einschulung und weitere Feste gefeiert. Durch die Bündelung und Stärkung bestehender Strukturen, ergänzt durch neue Angebote, fördert das Mehrfunktionshaus die Resilienz der Dorfgemeinschaft.
„Das Bürgerhaus Prötzel OT Harnekop wird eine Begegnungsstätte für bürgerliches Engagement, kulturelle, medizinische und soziale Aktivitäten sowie Beratungs-, Bildungs- und Dienstleistungsangebote. Als Ort der Begegnung fördert es die Kommunikation, den Gemeinschaftssinn, die Integration und Vernetzung.“4
[fig. 4] Zeitliche Nutzung
Im Foyer und auf dem Vorplatz (Marktplatz) können regionale Lebensmittel und weitere regionale Produkte angeboten werden. Hier kann auch eine Ausstellung oder der Adventsbasar stattfinden.
Der örtliche Karnevalsverein wird den Multifunktionsraum 1 nutzen. Hier wird es zudem Gymnastik-, Yoga- und weitere Angebote im Spektrum von Bewegungs- und Entspannungskursen geben.
Eine kleine Bibliothek wird im Multifunktionsraum 2 eingerichtet. Hier können Bildungsangebote und kulturelle Veranstaltungen im kleinen Kreis stattfinden.
Angebote zu Gesundheitsvorsorge und -versorgung finden im Multifunktionsraum 3 statt. Hier ist ein Programm von der Ernährungs- und Pflegeberatung bis hin zur medizinischen Betreuung geplant. Dem Raum zugeordnet ist ein separates WC mit Waschbecken.
Zentrum des Hauses ist der Saal. Er ist mit einer mobilen Trennwand in zwei Bereiche unterteilbar. Der für eine Cafénutzung vorgesehene Bereich ist über eine große Durchreiche mit der Küche verbunden. Der Saal bietet Raum für Feste, Kunst und Kultur sowie Seminare, Veranstaltungen und Vereinssitzungen.
Die Konzeption des neuen Bürgerhauses in Prötzel erzeugt eine hohe Nutzungsdichte und große Nutzungsvielfalt, mit Angeboten für alle Bürger:innen sowie Gäste der Gemeinde. Das Haus fördert damit Möglichkeiten von informellen Begegnungen und Austausch über alle Generationen-, Herkunfts- und Geschlechtergrenzen hinweg. Die Lebensqualität und Resilienz der ländlichen Gemeinde Prötzel werden gestärkt und es entsteht ein lebendiger, sozialer Treffpunkt, der in die umliegenden Ortsteile und die gesamte Gemeinde ausstrahlt.
[fig. 5] Lageplan, Mehrfunktionshaus Prötzel
[fig. 7] Rendering Gebäude
[fig. 8] Modellfoto, Umgebung
Am Rande des Festplatzes positioniert, ist das Dorfgemeinschaftshaus umrahmt von den Bestandsgebäuden. Das Ensemble aus mittelalterlicher Kirche mit Dorfanger wird mit dem Festplatz und dem Gemeinschaftshaus in Beziehung gesetzt, sodass ein klares räumliches Zentrum für das Dorf entsteht. Ein großes Dach überspannt das Gebäude, das Satteldach als am Ort typische Dachform wird übernommen aber neu ausgestaltet. Die im Volumen zurückgesetzte Eingangssituation ist aus allen Richtungen sichtbar und leitet Anwohner und Gäste mit einer eindeutigen Geste in das Haus.
[fig. 9] Grundriss EG
[fig. 10] Schnitte
[fig. 11] Ansichten
Die Räume des Bürgerhauses sind auf drei Baukörper aufgeteilt und werden über ein zentrales Foyer erschlossen. Hier kreuzen sich die Wege und es kann bei Veranstaltungen wie Basaren, Ausstellungen, oder Festen als zusätzlicher Raum genutzt werden. Das Foyer öffnet sich durch großzügige Ausblicke zu seiner Umgebung, zur einen Seite in Richtung des Dorfangers und der Kirche, zur anderen Seite in Richtung der Landschaft. Der Festsaal des Hauses ist über große Fenster und Türen weit zum Außenraum in Richtung des Dorfplatzes geöffnet.
[fig. 12] Visualisierung, Foyer
[fig. 13] Visualisierung, Saal
In seiner äußeren Erscheinung spiegelt das Bürgerhauses den Ort, vorhandene Materialitäten und Farben werden aufgenommen und neu interpretiert. Die ausgewählten Materialien für Konstruktion und Oberflächen sind einfach, dauerhaft und nachhaltig. Das Gebäude ist in Holzständerbauweise konzipiert, das Dach erhält eine metallische Oberfläche. Für die Fassade ist eine fein strukturierte Holzbekleidung vorgesehen, die dem Bürgerhaus seinen besonderen Charakter verleiht. Im Inneren des Gebäudes prägt die sichtbare Holzkonstruktion und -bekleidung die schlichte und warme Atmosphäre der Räume. Fenster und Ausblicke verbinden das Leben im Gemeinschaftshaus mit dem Dorf.
Quellen:
1: Amt für Statistik Berlin Brandenburg, Bevölkerungsentwicklung und Stand im Land Brandenburg, 30.06.2020. Durchschnittliche Einwohnerzahl von 1.450 Einwohnern. Die Landgemeinden haben mit einer Größe von 15.180 km2 50% der Fläche von Brandenburg (29.479 km2); Besiedlungsdichte ø 39 E / km2
2: BMEL: Bundesprogramm Ländliche Entwicklung - Ideen und Impulse für die Zukunft unserer ländlichen Räume, 27.12.2019
3: BMEL: Alles unter einem Dach! Mehrfunktionshäuser, Modellprojekte im Bundesprogramm Ländliche Entwicklung, 08.02.2017
4: Steuerungs- und Koordinierungsgruppe Prötzel OT Harnekop, Broschüre zum Bürgerhaus Prötzel OT Harnekop, 2020
BB2040
[EN] Berlin Brandenburg 2040 was initiated by the Habitat Unit in cooperation with Projekte International and provides an open stage and platform for multiple contributions of departments and students of the Technical University Berlin and beyond. The project is funded by the Robert Bosch Foundation.
[DE] Berlin Brandenburg 2040 wurde initiiert von der Habitat Unit in Kooperation mit Projekte International und bietet eine offene Plattform für Beiträge von Fachgebieten und Studierenden der Technischen Universität Berlin und darüberhinaus. Das Projekt wird von der Robert Bosch Stiftung gefördert.